Niederlage

Der Wert einer Niederlage, ich sage, er liegt über dem Wert eines Sieges. Die Niederlage führt zurück, holt den Helden zurück von den Sternen auf die Erde. Aus dem Rausch wird ein nüchterner Zustand und still wird der Mensch. Zu einem Betrachtenden, einem Erkennenden wird er. Alles ist ihm sichtbar. Die Täuschung ist vorbei. Sich selbst erkennt er nun ganz deutlich und er erfährt sich neu in dieser tiefen Enttäuschung. Und er sieht noch mehr: Dort also steht der Sieger. Wie zeigt er sich? Welcher Art ist sein Jubel? Gehemmt oder extatisch? Von welcher Last scheint er in diesem Moment befreit zu sein? Was hat ihn hier herauf getrieben, der Beste sein zu müssen? Abgründe werfen ihre Schatten in das Gesicht des aus sich selbst heraus leuchtenden Helden. Dass es so viele Verlierer gibt auf dem Weg der Ermittlung dieses Einen, des Strahlenden, es ist der eigentliche Wert dieser Wettkämpfe. All die, die es nicht wurden, sind von der Last der Täuschung befreit. Das ist ein gutes Gefühl, frei zu sein.

Und darum laufe!

Windgeworfen

Ein umgestürzter Baum, ein Riese von vielleicht 200 Jahren, der sich nun in seiner Würde über meinen Weg legt. Im Liegen noch ist dort, und gerade im niedergelegten Zustand, ist dort ein Gefühl von einer Erhabenheit in mir im Schauen angeregt. Größe, Zeit, das Überdauern. Was alles hat dieser Baum gesehen? Ich erahne Dimensionen, die über mich hinausreichen. Ich spreche aus für die Bäume! Hier und jetzt. Sie zu respektieren bin ich gekommen. Den Respekt einzufordern, bin ich gekommen. Dieser Baum stand an dieser Stelle, bevor es überhaupt einen Weg gab, der an ihm vorbeiführte. Bevor Pfade zu einem Weg zusammenfanden. Der Weg führte an diesem Baum vorbei, um ihn zu einem Baum des Wegesrandes zu machen. Der Baum nun legt sich zum Sterben über den Weg und wir Passierende weichen aus. Ihn zu übersteigen gelingt uns nicht. Er ist zu groß, der Stamm ist zu mächtig. Hindurch durch die von seinen Wurzeln hochgeworfene Erde werden wir weich und mäandern um ihn herum. Der Weg, zuvor gerade, wie an der Schnur gezogen, ist nun gewandelt, geschwungen. Ich denke: Dies zu erhalten, es würde mir das Gefühle der Ehrfurcht, die ich an dem liegenden Riesen empfinde, erhalten. DIe Erhabenheit wäre für den empfindenden Menschen bewahrt, über Jahre vielleicht, bis aus dem Stamm Humus geworden, Insekten, Pilze, Farne, andere Bäume aus ihm herausgewachsen sind. Und vielleicht wäre der leichte Bogen dieses Weges ein Zeugnis seiner Anwesenheit über einen noch viel größeren Zeitraum hinaus, auch wenn von Ihm, von seinem Stamm nichts mehr sichtbar wäre. Keine Erhebung, kein Nichts. Tags darauf kehre ich zurück. Zersägt und aus dem Weg geräumt, achtlos den Hang hinabgestoßen die Abschnitte des Stammes, von Größe keine Spur. Es bleibt der Anblick eines aus dem Weg geräumten Hindernisses, mehr nicht. Der gerade Weg ist wieder hergestellt. Wie eigenartig, denke ich, der Weg der Erholung, wozu er ja an diesem Ort dient, er würde doch Raum haben für ein Ausweichen, ein Umfließen, ein Innehalten, ein Spiel!

Und darum laufe!

Selbstorganisation

Wenn es einen Tag gibt in der Woche, der die Übung in sich birgt, so gibt es dort eine Struktur, die über Jahre hin ausgeführt, stabiler und verlässlicher wird. Ich werde laufen, ist dieser Tag erreicht. Er ist der Lauftag und ich strebe dem Ideal entgegen, der Struktur, die mir Erfüllung ist. So organisiert, erlebe ich Wirksamkeit, Wahrhaftigkeit und Wahrheit. Ich bin hoffnungsvoll, voll Freude, glücklich geradezu, weil meine Bedürfnisse befriedigt, weil die Struktur mich birgt und behütet. Ich folge, doch das Leben ist es nicht! Die Freiheit ist es nicht. Es ist ein Versuch, etwas der großen Wahrheit, dem großen Mysterium zu entgegnen. Eine Selbstbehauptung. Und darin eine Behauptung nur. Denn ich verändere mich von Tag zu Tag. Ich muß das anerkennen. Ich altere, das ist gewiß. Und so sind die Pläne von heute geradezu albern im Angesicht des Morgen. Ich lächele über mich. Das bin ich vielleich: der Versuch einer Strukturierung! Das ist das, was ich ein Selbst nenne, dieser Versuch dazu. Dieser Versuch trägt meinen Namen. Ich spiele damit. Im Spiel, so las ich einmal, ist der Mensch ganz Mensch. Der Mensch im Wesen, er sei ein spielender Mensch. Ein Spiel mit der Strenge des mir selbst erdachten Planes.

Und darum Laufe!

Nabelschnur

Einmal gebrauchte ich ein Bild. Warum lebst Du in dieser Stadt? wurde ich gefragt. Was macht ein Leben in ihr möglich? Und ich sprach von einer Nabelschnur. Der Weg an dem Bach, der in die Stadt fließt und dann in den Strom mündet, er wäre für mich wie eine Nabelschnur, die hineinführt in den Wald, in den ich so regelmäßig laufe. Dort erhole ich mich und kehre dann zurück. Und hier im Laufen, inmitten dieser Schur, in den pulsierenden Strom wird mir das Wesentliche dieses Bildes bewusst: Ich laufe dem Ungeborenen entgegen, dem Embryo, welches mein ungeborenes Selbst ist. Es ist das Unberührte zudem. Mein Wesenskern liegt dort tief im Wald zusammengekauert und ich bin dieser Wesenskern, ganz rein, klar und unberührt, wenn ich nach einer Stunde des Laufens dort angelange. Von dort kehre ich zurück über die Nabelschnur in die Stadt an dem Strom, die in diesem Bild die Plazenta darstellt. Die Stadt, die mich ernährt, mit Begegnungen und Aufgaben versorgt. Das Bild fragt mich nun: Wann wirst Du geboren? Wann ist es soweit?

Und darum laufe!

Sterne

Ich laufe, ohne zu laufen. Ich denke, ohne zu denken. Ich empfange, ohne zu empfangen. Ich stimme mit dem, was mich umgibt überein. Darin ist alles in Harmonie. Alles ist geborgen in dem Einen. Das zu Leisten, meine Aufgabe ist. Dass es das Eine sei. Und ich hole die Sterne herab, eine funkelnde Schar in meiner Hand, in meinem Herzen. Und ich sende die Sterne hinauf, eine funkelnde Schar in meinem Herzen, in meiner Hand.

Und darum laufe!