Ein Sturz

Ich laufe mit erhobenen Armen, um meinen Rücken, Muskel und Wirbel zu entspannen. Ich versuche die Arme durchzustrecken und blicke im Laufen nach oben, sodass ich Blätter und Äste über mir vorbeifliegen sehe. Eine Wurzel wird wohl mein vorschwingendes Bein gefangen haben und ich stürze in dieser Haltung ungebremst auf beide Knie. Der Stoß schlägt hinauf in die Wirbel zwischen meinen Schutlerblättern und so liege ich da, gekrümmt auf dem Boden und ringe um Luft. Ein Kindheitsschmerz. Ich erinnere mich und lache in mich hinein. Ich lache darüber, ein Narr zu sein, der sich selbst verletzt. Der Schmerz ist mir vertraut und darin nicht beunruhigend. Würde ein Passant zur Hilfe eilen, ich würde sagen: Schon gut, es ist halb so wild, in ein paar Minuten ist alles wieder in Ordnung. Bitte lassen Sie mich einfach liegen. Bitte gehen Sie weiter. Bald werde ich wieder Luft bekommen. Und so war es auch. Nun, ein paar Tage später ist meine Atmung noch immer eingeschränkt, ein Drücken in meinem Brustkorb, nicht unangenehm. Ich atme also vorsichtig in andere Bereiche meiner Lunge, hinab in meinen Bauch. Ich blähe den Bauch, wie eine Blase und das gelingt nur, weil ich die Muskulatur weich lassen muß, wo sie zuvor angespannt war. Wie lange schon? In dieser Peinlichkeit auch noch mit einer Erkenntnis beschenkt zu sein, es erheitert mich zudem.

Und darum laufe!

Erstaunen

Ich laufe und die Schnüre der Sandale an meinem rechten Fuß drückt. Sie tut es schon eine Weile und da der Schmerz nicht zu ignorieren ist, halte ich an und justiere die Schnüre neu. Es hat sich bereits eine Blase unter der Hornhaut gebildet. Ich bin erstaunt, wie lang ich gebraucht habe, um mich überhaupt zu kümmern. Ich habe die Irritation ignoriert bis hierher und jetzt geht es nicht mehr. Es dauert nicht lang, die Schnüre neu zu binden. Der Schmerz ist immer noch vorhanden, doch die Belastung ist anders verteilt. Zudem ist die Schnüre nicht mehr so straff gebunden, wie zuvor. Ich laufe weiter und denke: Wie einfach es gewesen wäre, schon viel früher zu justieren. Es hätte nur einen Moment benötigt. Ich hätte es tun können, sofort. Doch ich konnte genau das nicht verstehen.

Und darum laufe!

Über null

Wenn ich barfuß laufe auf gefrorenem Boden, nur mit einer durch Schnüre befestigten dünnen Ledersohle an den Füßen und die Temperatur der Luft dabei über null Grad liegt, dann ist alles möglich. Zehn Kilometer oder mehr sind möglich, ohne dass ich Erfrierungen befürchten muss. Denn es ist so, dass bei einem Lauf von einer Stunde die Füße vielleicht nur ein Drittel der Zeit den gefrorenen Boden berühren. Die Füße sind  zudem durch die dünne Sohle geschützt. Den Rest der Zeit – bin ich ununterbrochen in Bewegung – befinden sich meine Füße in der wärmeren Luft. Ich glaube, alles über null Grad Lufttemperatur ist möglich. Zudem trainiere ich die Durchblutung der Gefäße mit jedem Lauf der unter zehn Grad liegt. Es liegt darin kein Schmerz für mich. Es liegt darin auch kein mangelnder Komfort. Ich bin frei im Denken. Frei von Sorge oder Befürchtung. Ich kann mich völlig erheben und einfach laufen. Da ist der Wald, das Rauschen des Baches und die freundliche Verwunderung der mir begegnenden Passanten. An die Kälte habe ich die Füße bereits gewöhnt. Ich vermute, obwohl nach einer Stunde des Laufens die Füße sich ganz taub anfühlen, dass auch Barfußläufe bei Minusgraden möglich sind. Ich richte das heiße Wasser unmittelbar nach der Heimkehr auf Spann, Ferse, Sohle und Zehen. So habe ich meine Füße seit Jahren nicht gespürt.

Und darum laufe!