Ich wache auf in der Nacht. Das Licht des Vollmonds tritt durch ein Fenster in mein Zimmer. Es blendet bläulich und der Schlaf ist wie verflogen. Eine Weile versuche ich wieder einzuschlafen, doch es ist vergebens. Kein Wenden oder Drehen, das Licht ist in mich eingedrungen und so kleide ich mich an und laufe los. Es ist die frühe Nacht, der Morgen ist noch fern. Der Weg ist beschienen, das Licht ist mir vertraut. Ganz still ist es um mich herum. Ein Rascheln hier und dort, der Bach tönt leise, doch mehr ist nicht zu hören. Ich lausche meinem Atem und den Schritten auf dem silbrigen Weg. So geht es eine Weile und ich weiß nicht mehr, wo ich bin. Alles bleibt vertraut, doch so, wie ich den Wald jetzt sehe, ist er mir völlig unbekannt. Der Weg führt hinauf und hinab. Er windet sich und ich finde mich an einer Wegkreuzung wieder, an der sich der Mond ganz unverdeckt zeigt. Ein kleiner Platz mitten im Wald. Nie zuvor bin ich hier gewesen, dabei kenne ich den Wald und seine Wege doch ganz genau. Bäume säumen diese Kreuzung – Kiefern, Fichten und Lärchen. Ein Baum überragt alle anderen. Er ist deutlich älter, sein Stamm mehr als doppelt so dick, wie die Stämme der ihn umgebenden Bäume. Ich schätze das Alter des Baumes und lege dabei mein Hand an seinen Stamm. Vielleicht 200 Jahre, oder mehr … denke ich. Ich atme tief und ruhe aus. Mein Blick wandert nach unten zu den Wurzeln des Baumes. Dort sehe ich etwas silbrig schimmern. Das Licht des Mondes spiegelt sich. Dort ist etwas, es bewegt sich. Ich blicke, ohne meine Hand vom Stamm zu lassen: Ein Salamander! Schwarze Haut mit gelben Flecken. Auf seinem Weg durch die Nacht begegnen wir einander. Du kannst den Baum etwas fragen … höre ich in mir eine Stimme sprechen. Die Stimme ist deutlich und klar. Es ist die Stimme des Salamanders: Befrage den Baum, er wird Dir antworten! Und so frage ich, als würde ich schlafen, ohne Furcht und ohne ein Bedenken: Warum? Warum das alles? Das Werden, das Vergehen, das Strömen? Das Begehren, das sich wehren? Warum die Hindernisse, die Bedürftigkeit, das Sehnen und das Scheitern? Bitte sage mir, warum? Und der Baum läßt vor meinem inneren Auge ein Bild von gewaltiger Größe, in völliger Klarheit erscheinen. Ich sehe Strukturen, Poygone in Grüntönen gefärbt. Eine Oberfläche, ein gewaltiger Schleier. Bewegt, unfassbar und vielgestaltig. Auf diesen Schleier ist das ganze von mir erfahrene Sein projiziert. Alles, was war. Alles, was ist. Meine Herkunft, mein Ursprung und auch meine Zukunft. Zudem das Sein der gesamten Menschheit, der Schöpfung überhaupt. Und neben diesem Schleier ist dort nichts. Er ist sein eigener Zweck. Was auf ihm zu sehen ist – es ist aus sich selbst heraus projizert. Es gibt keine Lichtquelle außerhalb, keine Optik, keinen Raum. Der Schleier ist alles. Erschöpfend darin und hinter ihm nichts, was er verhüllen würde. So also antwortet der Baum … Denke ich. Und ich danke dem Baum und dem Salamander, die hier auf mich gewartet haben. Ich fühle mich leicht und heiter. Hiervon zu künden, treibt mich heim.
Und darum laufe!