Der Tempel

Wie nur konnte ich an Steine und Mauern denken? An tonnenschwere Quader, rätselhaft bewegt? An behauene Steine, gefügt oder gesetzt, aufgetürmt und von Erdbeben geworfen, zu Schuttkegeln gewandelt? An Massen, an umbautem Raum, Architektur von der Sonne und den Jahrhunderten gebleicht, von dem Wind und den Sandkörnern geschliffen? Der Tempel, der zu errichten ist, ist dort, wo ich bin und ich bin dort, wo dieser Tempel ist. Er ist der heilige Ort in mir. Er ist der Moment des Friedens in mir, den ich wirklich werden lasse. Und dieser Tempel, er ist jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jeden Moment von mir neu zu errichten in Friedfertigkeit, in Sanftmut. Und ich atme und laufe.

Und darum laufe!

Völlig natürlich

Eine Biene, wildes Tier! Mir scheint, sie führt eine völlig natürliche Beziehung mit der Sonne. In Bestimmtheit, von diesem Frühlingsmorgen an, durch den nun folgenden Sommer hindurch. Von ihr erlerne ich, zu verstehen, wie es um meine Beziehung zur Sonne bestellt ist. Eine Beziehung, die Gestört ist, von der Angst und den Bedenken. Doch ich fordere mich auf, mein Naturgesetz wieder zu entdecken. Meine Liebesbeziehung zur Sonne soll heilen. Meine größte Illusion war zu glauben, nicht auszukommen, ohne mich einzuordnen. Ohne die Anderen. Und so hemmte ich mich in meiner Kunst, ängstigte ich mich hinfort von meiner Kunst. Doch es ist dort ein glimmen in mir. In mir hunderte von Glutnestern, die nur ein wenig anzublasen sind und die Flammen werden lodern.

Und darum laufe!

Der Morgen

Wenn du Gedanken in den Wald trägst, die schwer und überwältigend scheinen, wenn die Reue über Irrtümer und falsche Entscheidungen nicht weichen will, wenn du erinnerst, einmal gezögert zu haben und dadurch etwas verloren hast, vor Jahren, wenn der Verlust so groß war, dass er ein Leben bis hierher begleitet, wenn dieser Verlust zu einer Erzählung taugt, die du gewohnt bist immer und immer wieder zu erzählen, zu einer Erzählung, die immer und immer wieder erzählt, ein kleines bisschen milder wird, um endlich, schließlich dich verstehen läßt: Oh, Ich kann ja immer noch diese Geschichte erzählen, so viele Male schon und immer noch erzähle ich diese Begebenheit, ich atme, ich lebe, habe etwas erlebt und erzähle es dem Menschen, der mir gegenüber steht, mal diesem, mal jenem und ich erzähle diese Geschichte dem Menschen, der neben mir durch diesen Wald hier läuft. Ich erzähle diese Geschichte dem Wald, den Bäumen, dem Wind und dem Rauschen des Baches. Wenn du also verstehst, dass dies die Erzählung des großen Verlustes deines Lebens ist, und zugleich erkennst, dass diese Geschichte schön ist und lehrreich, symbolisch, wie ein Zeichen. Dann ärgere dich nicht zu früh. Und diese Geschichte ist so gestaltet, erschaffen geradezu, als wäre sie ein Kunstwerk, als wäre sie in dieser Form, in der sie sich ereignete, einmal zu erfinden, zu ersinnen durch einen Autor, einen Schöpfer, einen Künstler in seiner genialen Kraft: Darin ist sie schön, in ihrer belehrenden Kraft ist sie schön.Wenn du jetzt, hier angekommen, weil du also voreilig warst und jetzt wieder ein Verlust eintritt, von der Größe des ersten Verlustes, der jetzt wieder wie ein Klang durch dein Leben hindurch tönen wird und du nun ahnst, dieser Klang kann, wenn du es ihm erlaubst dich ebenso lang begleiten, wie der Klang des ersten Verlustes es getan hat bis hierher, dann ärgere dich nicht zu früh. Erinnere dich, du hast solches bereits erlebt und wie ironisch, ein Witz geradezu, dass das entgegengesetzte Verhalten genau denselben oder einen gleich gearteten Verlust bewirkt. Einmal zögertest du und nun warst du voreilig, du hättest nur ein kleines bisschen warten müssen, um zu empfangen, was du als Geburtsrecht empfindest: Die Fülle am Sein, in jeder nur möglichen Form und Ausprägung. Doch alles geschieht genau so, wie es geschehen soll. Die Erfahrung flüstert leis: Den Verlust zu erfahren, es ist von größerem Wert als die Erfüllung des ersehnten Traumes oder die unerwartete Belohnung, das unerwartete Geschenk,welches du alsbald vergisst. Der Verlust, das bist du! Schön und gefügt. In ihm ist tiefe Bestimmung. Du bist der atmende, der tanzende, der erzählende Zerstörer deiner selbst. Die Erzählung, die du von dir zu äußern gewohnt bist. Im Tanz löst sie sich auf. Im Tanz löst sich nun auf, was fest genug war, bereut zu sein. Es bleibt nur noch der Tanz, die Freude und der strahlende Schein des anbrechenden Morgens.

Und darum laufe!