Licht

Die Dämmerung setzt ein. Ein Lauf am frühen Morgen. Aus der Nacht heraus laufe ich in den aufgehenden Tag hinein. Halb nur bin ich wach. Schlaftrunken laufe ich wie von allein. Ich erinnere einen Traum, den ich in der letzten Nacht geträumt habe. Bilder und Symbole erscheinen vor meinem inneren Auge. Ich denke über die Bilder nach und gelange zu einer Deutung, die mir schlüssig erscheint. eine Deutung, die Bilder, Gefühle und Vorgänge zu einer Gestalt zusammenführt. Immer soll die Gestalt geschlossen sein, möglichst eindeutig und ohne Widerspruch. Meine Deutung verbindet den Traum mit Ereignissen und Begebenheiten aus meinem Leben. Beziehungen, Gefühle, Begebenheiten. Dabei ist es immer so, dass mich eine innere Berührtheit ergreift. Nur, wenn ich berührt bin, gehe ich einer möglichen Deutung nach. Nur, wenn ich berührt bin, messe ich der Deutung eine Wahrheit bei. Viele ganz andersartige Deutungen sind vorstellbar. Doch ich weiß ganz genau, was für mich wahr ist und was nicht. Mal ist die Deutung bestätigend, ein anderes Mal ist sie eine Art Spiegelbild, welches mir bisher Ungesehenes vor Augen führt. Ganz sicher sinken in dem Meer an Wahrheit die mich nicht berührenden Bilder in der Schwere ihrer Bedeutungslosigkeit zum Meeresgrund hinab. Ich lasse sie los, ohne Reue, ohne Bedenken. Was von Bedeutung ist, es ist licht, hell und aufsteigend.

Und darum laufe!

Die Sonne

Durch den kühlen Morgen laufe ich in einer Gruppe. Die Menschen sind mir fremd, und doch sind wir miteinander verbunden im Rhythmus des Laufes. Warum nur schweigen wir? Dies ist doch ein frei gewählter Lauf, dies ist doch der Moment des Genusses. Der Aufstieg hierher, er war doch schwer genug. Die Zeit ist doch am Ende nicht so wichtig, als dass wir schweigen müssten? Milchiges Licht im Hochnebel, Tannengrün. Kurz zuvor rief uns ein Mann am Wegesrand zu: Bald kommt die Sonne, Ihr seid auf dem richtigen Weg, dort oben auf dem Gipfel, dort scheint die Sonne! Und wir schweigen. Wie unnatürlich, denke ich. Am Gipfel angelangt, rufe ich in unsere Gruppe hinein, sodass wir alle es hören können in dem Ton der naiven Freude: Wo ist denn nun die Sonne? So, als hätte ich, als hätten alle dem Mann, der sie Versprach glauben können, glauben müssen. So, als wären wir nie jemals enttäuscht gewesen von einem versprechen, welches ein Mensch uns einmal gegeben hat. Ein Versprechen, um uns anzuspornen, uns zum Weiterlaufen zu bewegen. Ein weiterer Moment des Schweigens, ein paar Schritte mehr und dann sagt die neben mir laufende Frau: Die Sonne, das bist Du! Und ich bin wie energetisiert von ihrem Wort. Ich lächele in Dankbarkeit. Ein wenig verlegen auch, doch wir als Gruppe, wir sind mit einem Mal miteinander vertraut. Wir sind geborgen in der Konstellation, die uns hier einen Moment lang trägt. Die Konstellation, die wir dann auch bald wieder verlassen können. Und so denke ich ein wenig später, dass ich versäumt habe ihr zu erwidern: Und das Herz, das bist Du!

Und darum laufe!