Archiv für den Monat März 2021
Ein Vogel
Ein Vogel des Frühlings, sein Gesang, den ich schon hundert Mal gehört habe. Ihn zu bestimmen, seinen Namen zu ermitteln, es könnte mir helfen, den Vogel zu benennen. Doch ich erkenne, wie sehr ich im Benennen hinter dem zurückbleibe, was der Gesang des Vogels mir zu verstehen anbietet. Viel mehr ist dort, als die Vereinbarung, die wir Menschen getroffen haben, dieses Wesen genau so zu benennen, wie wir es tun. Viel mehr ist dort in dem Gesang, was in mir eine Saite zum klingen bringt. Viel mehr an Empfindung, an Wahrheit, an Leben, zu dem ich über diesen Gesang finden mag. Eine ganze Welt tut sich auf, wenn ich nur ruhig werde und lausche.
Und darum laufe!
Schleifen
Ich laufe in Schleifen. Ein Weg, ein Gedanke, das Gefühl von Schuld und Scham, etwas, das mich nicht loslässt. Es kreist in mir, sodass es mir zu einem Ärgernis wird, welches ich nicht einfach abstreifen kann. Es ist ein Ärgernis, so sehr, dass ich kurz davor bin, den Lauf abzubrechen. Ich bin kurz davor, es sein zu lassen. Eine List kommt mir zuhilfe: Ich laufe ein Stück zurück auf meinem Weg, etwa so weit bis zu dem Ort, an dem ich begann mich zu ärgern. Oder sogar noch weiter zurück bis zu dem Ort, an dem ich begann über das nun erblühte Ärgernis nachzudenken. Dort angelangt, wechsele ich erneut die Richtung und nehme die zweite Chance, von diesem Knotenpunkt aus loszulaufen. Der Knotenpunkt, ist der Punkt, der mich am meisten interessiert. Hier wo der Faden, die Schnüre verknotet ist, wo sie fixiert ist, setze ich mit meiner Frage an. Ich verstehe, was es bedeuten würde, den Knoten zu lösen. Eine Schnur, die zuvor gebunden war, würde auf eine sehr viel größere Länge auseinandergezogen. Einem Quantensprung gleich, wäre von einem auf den anderen Moment ein Anfangspunkt von dem Zielpunkt abgerückt. Der Raum, der dazwischenläge wäre gewaltig erweitert. Es ist also kein mühsames sich annähern an Größe, Weite, Tiefe oder Bedeutung. Es ist da, in diesem Moment. Die Erkenntnis bricht ein in die Realität, wie ein Läufer auf dem Eis. Mich interessiert also diese Verknotung, die mich wiederholen lässt. Die mich daran hindert loszulassen und weiterzuziehen. Mich interessiert der Knoten mehr als alles Andere.
Und darum laufe!
Sucht
Warum läufst Du? Eine Stimme in mir klingt. Und ich antworte dieser Stimme unmittelbar: Ich laufe, weil ich süchtig bin. Ich bin ein Süchtiger, ein Abhängiger. Durch das Laufen erlange ich ein wenig Kontrolle über meine Sucht. Ich erlange Zugriff und kann das Drängen der Sucht für eine Weile bändigen. Ich bin süchtig nach Beziehungen zu Menschen, nach Begegnungen, nach Geborgenheit, nach der Abhängigkeit von Menschen. Ich bin abhängig von der Abhängigkeit. Das Laufen selbst ist keine Sucht. Es ist eine Form, in die die Sucht hineinzuflechten mir gelingt. Sodass sie mich nicht überwältigt. Es ist eine Form, mich zu distanzieren. Es ist eine Form, in die Ausgewogenheit zurückzufinden. Irgendwo, irgendwann ging die Ausgewogenheit verloren. Und ich laufe dabei, um einmal nicht mehr laufen zu müssen in dieser Bedingtheit. Ich laufe für den Moment der Freiheit, der ist, aus der Fülle der freien Wahl heraus, mich für das Laufen zu entscheiden. Mich für etwas zu entscheiden, weil es das ist, was mich am tiefsten befriedigt.
Und darum laufe!
Schönheit
Eine Art Mustert, hineingewoben in den Schleier des Seins. Das Muster, welches als Teil des verhüllenden Stoffes vor dem Sein liegt, es ist in seiner Sybolik ein Ausdruck für die Idee der Schönheit. Das Muster spricht von der Schönheit. Von dem Ideal einer Schönheit und der Not ihre Abwesenheit nicht zu ertragen. Ein geborstener Baum, unberührt in seiner Form, ich mühe mich, darin die Schönheit zu erkennen. In der Spur der Zerstörung, die nicht beräumt oder irritiert ist. Und ich ahne davon, dass ich genausogut den Gleichmut den Erscheinungen des Seins gegenüber in diesen Schleier hineinweben kann. Alles ist und darin zunächst nichts weiter, als ein Phänomen. Es bedarf keiner Bewertung, keines Vergleiches. Es mag mich berühren, ich kann mich trotzdem auf ein Spiel mit der Gleichgültigkeit und dem Gleichmut einlassen. Und so webe ich in den Schleier hinein: So wie es innere Stimmen gibt, gibt es Momente der Weite, der völligen Offenheit. Es gibt Momente der Stille und der Abwesenheit auch nur eines Gedankens. Ich webe hinein in diesen Stoff den weiten, weißen Raum von dem, was sich meiner Vorstellung entzieht. Ich webe in den Schleier das nicht vorstellbare Muster der Unvorstellbarkeit hinein. Ich webe in diesen Stoff hinein die Fähigkeit, diesem Raum in Offenheit zu begegnen. Den Raum gewähren zu lassen. Aus ihm heraus mag sich etwas mir zuwenden. So leicht und fein bin ich anwesend und hellwach dabei. Dann webe ich hinein die Fähigkeit des Ausharrens in diesem Raum, ihn aufrechtzuerhalten über einen Moment hinaus. Und zuletzt sei hineingewoben in diesen Stoff, die Fähigkeit zu lernen.
Und darum laufe!