Lichtspuren

Ein Lichtstrahl biegt sich an der Innenkante meiner Nasenöffnung und ich sauge den einen Strahl in mich ein. Millionen anderer Strahlen begleiten und folgen sanft und Nasenhaare wie Borsten am Naseneingang verflechten den Lichtstahl in ihrem Gestrüpp. Feinere Nasenhaare, etwas tiefer im Naseninneren spalten sanft den Strahl und sein Gefolge in Teilchen, die wirbeln und pulsieren. Das Wolkengebilde aus Teilchen gleitet in meinem Inneren hinab durch die Luftröhre und in Teilen auch schon hier wird die Wand der Luftröhre von dem Sauerstoff aus Licht erleuchtet. Pulsierendes Leuchten durchdringt in allen Richtungen das Innere auf dem Weg in Richtung der Lunge. Bläschen empfangen, Tropfen fallen, Nektar entsteht. Einatmung kommt zur Ruhe im Moment der größten Ausdehnung. Elastizität in allen Straßen, auf allen Wegen. Gähnen kommt zur Hilfen. Gähnen eilt herbei, Tief, tiefer noch und Ausatmung beginnt. Das Licht leuchtet hell in mich hinein und aus mir heraus. Kein Schatten weit und breit. Die Fußnägel selbst leuchten, als wäre unter ihnen ein Fahrradlämpchen installiert. Ein warmes Licht. Auch hier pulsierend. Die nackten Füße vor der schwarzen Erde fliegen durch die Dunkelheit. So schnell und gewandt. Lichtspuren im Dunkel der Nacht.

Und darum laufe!

Erstaunen

Ich laufe und die Schnüre der Sandale an meinem rechten Fuß drückt. Sie tut es schon eine Weile und da der Schmerz nicht zu ignorieren ist, halte ich an und justiere die Schnüre neu. Es hat sich bereits eine Blase unter der Hornhaut gebildet. Ich bin erstaunt, wie lang ich gebraucht habe, um mich überhaupt zu kümmern. Ich habe die Irritation ignoriert bis hierher und jetzt geht es nicht mehr. Es dauert nicht lang, die Schnüre neu zu binden. Der Schmerz ist immer noch vorhanden, doch die Belastung ist anders verteilt. Zudem ist die Schnüre nicht mehr so straff gebunden, wie zuvor. Ich laufe weiter und denke: Wie einfach es gewesen wäre, schon viel früher zu justieren. Es hätte nur einen Moment benötigt. Ich hätte es tun können, sofort. Doch ich konnte genau das nicht verstehen.

Und darum laufe!

Über null

Wenn ich barfuß laufe auf gefrorenem Boden, nur mit einer durch Schnüre befestigten dünnen Ledersohle an den Füßen und die Temperatur der Luft dabei über null Grad liegt, dann ist alles möglich. Zehn Kilometer oder mehr sind möglich, ohne dass ich Erfrierungen befürchten muss. Denn es ist so, dass bei einem Lauf von einer Stunde die Füße vielleicht nur ein Drittel der Zeit den gefrorenen Boden berühren. Die Füße sind  zudem durch die dünne Sohle geschützt. Den Rest der Zeit – bin ich ununterbrochen in Bewegung – befinden sich meine Füße in der wärmeren Luft. Ich glaube, alles über null Grad Lufttemperatur ist möglich. Zudem trainiere ich die Durchblutung der Gefäße mit jedem Lauf der unter zehn Grad liegt. Es liegt darin kein Schmerz für mich. Es liegt darin auch kein mangelnder Komfort. Ich bin frei im Denken. Frei von Sorge oder Befürchtung. Ich kann mich völlig erheben und einfach laufen. Da ist der Wald, das Rauschen des Baches und die freundliche Verwunderung der mir begegnenden Passanten. An die Kälte habe ich die Füße bereits gewöhnt. Ich vermute, obwohl nach einer Stunde des Laufens die Füße sich ganz taub anfühlen, dass auch Barfußläufe bei Minusgraden möglich sind. Ich richte das heiße Wasser unmittelbar nach der Heimkehr auf Spann, Ferse, Sohle und Zehen. So habe ich meine Füße seit Jahren nicht gespürt.

Und darum laufe!

40 Meter vor Dir

Wenn Du losläufst, so versuche Deinen Focus auf ein Ziel zu lenken, welches imaginär ungefähr 40 Meter vor Dir liegt. Dieses Ziel lasse nicht aus den Augen. Vertraue Deinen Füßen, sie werden den Untergrund erkennen, Dich über Wurzeln und Steine hinweg tragen. Dein Laufen verändert sich. Das Wahrnehmen des Untergrundes, der vor Dir liegt, wandelt sich. Das ist das, was ich meine, wenn ich sage: Vertraue Deinen Füßen! Oder: Sieh mit Deinen Füßen! Oder: Laufe mit Deinen Füßen! Bleibe nun solange, wie es Dir möglich ist mit Deinen Augen – ihrem Focus – auf dem imaginären Ziel in 40 Metern Entfernung. Kommst Du dem Baum, dem Objekt, an dem Du diese 40 Meter festgemacht hast näher auf vielleicht 30 Meter, so blicke voraus und finde ein neues Ziel und wieder und wieder.

Dein Kopf ist erhoben, Deine Haltung gewandelt. Du läufst nun aufrecht, so dass ein Gefühl körperlicher Schwerelosigkeit entstehen kann. Die Beine laufen wie von allein und der Atem geht tief und dann wider ganz hoch über Dich hinaus. Du atmest die Ferne, die Weite, den Kreisbogen von 40 Metern um Dich herum. Nimm ihn als Volumen, welches Deine Lungen einsaugen. Lass es eine Kugel sein von 80 Metern Durchmesser – sie hat mehr als Genug Luft für Dich zur Verfügung.

Du wirst vielleicht bemerken, wie schwierig es ist, mehr als vielleicht fünf oder sechs Schritte zu tun, ohne den Blick auf den Boden vor Dir zu senken. Es ist schwierig, sich nicht fortwährend zu vergewissern, was dort vor Dir auf dem Boden ist. Doch es ist möglich. Du wirst alles, was Dich stolpern lassen könnte wahrnehmen, wenn es notwendig ist. Aber lass Deinen Focus auf Deinem Ziel. Lass Deine unbewusste Wahrnehmung sich um Schrittfolge, Schrittweite, Behutsamkeit des Aufsetzens der Füße kümmern, sie kann es. Der Bereich Deines Gesichtsfeldes, der am unteren Rand liegt, in dem all das liegt, was Dich stolpern lassen könnte, sei nun von einem Wahrnehmungsbereich beobachtet, den ich unbewusst nenne möchte. Vertraue also Deiner unbewussten Wahrnehmung und sieh mit den Füßen, ohne Dein Ziel in 40 Metern vor Dir aus den Augen zu lassen. Vielleicht solltest Du diese Übung erst auf einem ebenen Untergrund versuchen, einer Straße etwa, um dann allmählich auf abwechslungsreichem Terrain weiterzuüben. Du kannst auch langsamer laufen, als Du vielleicht gewohnt bist. Hast Du die rechte Geschwindigkeit für Dich, den Moment, Deine Wahrnehmung, so wirst Du auch nicht stolpern oder gar hinfallen. Vielleicht setzt Du Deine Füße auch etwas behutsamer auf, vielleicht werden sie vorsichtiger mit den möglichen Unebenheiten umgehen. Aber blicke für den Lauf von 40 Minuten, von einer Stunde nur in die Ferne – Du wirst gewandelt sein, wenn Du zuhause ankommst. Dein Geist wird nach oben hin geöffnet sein, erhaben, er hat fliegen dürfen und ist nun bereit sich wieder mit dem naheliegenden zu beschäftigen. Es kann sein, dass es Dich berauscht, so zu laufen. Doch Vorsicht! Im Rausch sind wir in der Lage über uns selbst hinauszugehen. Dies kann zu Erschöpfung, zu übermäßiger Ermüdung führen, Du kannst Dich übernehmen, zusammenbrechen, Dich verletzen. Wenn Du dies alles vermeiden willst, so genieße den Rausch, aber zähme ihn ein wenig auf das Maß, in dem Du Dich auch sonst bewegst.

Und darum laufe!