Der Tempel

Wie nur konnte ich an Steine und Mauern denken? An tonnenschwere Quader, rätselhaft bewegt? An behauene Steine, gefügt oder gesetzt, aufgetürmt und von Erdbeben geworfen, zu Schuttkegeln gewandelt? An Massen, an umbautem Raum, Architektur von der Sonne und den Jahrhunderten gebleicht, von dem Wind und den Sandkörnern geschliffen? Der Tempel, der zu errichten ist, ist dort, wo ich bin und ich bin dort, wo dieser Tempel ist. Er ist der heilige Ort in mir. Er ist der Moment des Friedens in mir, den ich wirklich werden lasse. Und dieser Tempel, er ist jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jeden Moment von mir neu zu errichten in Friedfertigkeit, in Sanftmut. Und ich atme und laufe.

Und darum laufe!

Geschlossene Augen

Mit geschlossenen Augen wird das Sehen zu dem, was sich findet zwischen dem Sehnerv und dem Gehirn. Entweder wird etwas Projiziert aus dem Gehirn heraus in die Richtung der Netzhaut, oder aber genau in der entgegen gesetzten Richtung, aus der Netzhaut heraus in die Richtung des Gehirns. So stelle ich mir das vor. Und dort, wo beides zueinander kommt, dort hinein die Wahrheit dringt. Doch es gibt dort noch mehr, als nur diese beiden Ausrichtungen. Dort ist ein einzelner Punkt, so klein ich ihn mir nur vorstellen kann, mathematisch klein, aus dem heraus sich Bilder erheben. Und zugleich ist dort das All, das uns umgebende, das unendliche, so unendlich ich es mir nur vorstellen kann, aus dem heraus sich Bilder in mich hinein senken. Und dann ist dort auch noch die Zeit, die ganz wie sie es will, Bilder aus der Vergangenheit abruft, oder aber Bilder von dem, was sich erst ereignen wird, bereit stellt. Und ich bin dem völlig ausgeliefert. Es ist spielerisch dabei. Und ich verliere den Glauben an eine Begrenztheit. Ich verliere den Glauben an eine Getrenntheit. Ich bin immer noch Ich. Doch auch das sei spielerisch genommen.

Und darum laufe!

Molekül

Meine Ahnen sagen: Atme durch die Nase und erwärme die einströmende Luft, bevor sie in deine Lunge eindringt. Ich sage den mir folgenden Ahnen: Atme durch die Nase und befrage dieses eine Molekül, welches an deiner Nasenkante gerade eben noch in den Luftstorm gelangt, der in deine Lunge gleitet, nach dem Ursprung des Universums.

Und darum laufe!

Eine Gabe

Ein Lauf, ein Wasserfall. Ich gebe Wasser aus meiner Flasche hinzu. Es ist ein Opfer, eine Gabe. Ich gieße Wasser in die davon strömenden Wassermassen. Und es strömt hinfort, hinaus in die Welt. Von hier aus, von diesem Ort, von mir. Es ist Wasser, welches ich auf diesem Lauf noch benötigen würde. Darin liegt das Opfer. Es ist wichtig, dass ich das Wasser vergieße. Es ist bedeutend. Es ist eine Handlung, deren Wirkung ich noch benötigen werde.

Und darum laufe!

Vor dem Bewusstsein

Worte, die durch mich hindurchgehen. Wortketten, Sätze, Erzählungen. Worte, die in mich eindringen, von außen und andere, die in mir entstehen. Wortketten, Sätze, Erzählungen. Worte, gebunden an Empfindungen. Gefühle, die sich in Worte kleiden und doch darin vollends wahr sind. Gefühle, die in völliger Übereinstimmung mit den Worten sind. Eine Trennung ist nicht möglich oder notwendig. Wortketten, Sätze, Erzählungen. Manche der Worte fallen wie Laub von einem Baum an einem sonnigen Herbsttag. Das ist ihre Bestimmung und Ausdruck des steten Wandels, der Veränderung und der Eingebundenheit in die großen Zyklen des Seins. Blätter im segelnden Flug, je nach Form, im Spiel mit dem Wind. Ein jedes Blatt eine Erfahrung. Ein jedes Wort eine Erfahrung. Andere Worte, die in mir kreisen. Die ihre Kraft, sich zu vergegenwärtigen aus dem Gefühl beziehen. Sie hinabzudrücken gelingt mir nicht. Nur wenn ich durchlässig werde, gleiten auch sie hinab. Nur wenn ich mit Ihnen auch von dem Gefühl loslasse, an welches sie gebunden sind, gleiten sie hinab. Bis ich leer bin, völlig leer. Ich bin jetzt nicht gefühllos, auch wenn es so erscheinen mag. Ich bin voller Mitgefühl, weil ich leer bin. Weil ich ohne Erinnerung bin. Es ist noch zu erahnen, in den uns wertvollen Momenten, dass es eine wortlose Zeit gab. Eine Zeit ohne Erinnerung. Eine Zeit vor dem Bewusstsein, welches uns so gründlich täuscht.

Und darum laufe!